
Amazon Pharmacy: Der Deutschland-Start ist nur eine Frage der Zeit

Seit Gründung im Jahr 1995 hat Amazon seine Strategie der stetigen Expansion in neue Märkte und Geschäftsfelder konsequent weiterverfolgt.
So war der Start von Amazon Pharmacy in den USA vorletzte Woche nur der logische nächste Schritt in der Erschließung des globalen Gesundheitsmarkts, der bereits vor zwei Jahren mit der Übernahme von PillPack (Kaufpreis: 753 Millionen US-Dollar) eingeläutet wurde. Blickt man jedoch ein wenig weiter in der Unternehmenshistorie zurück, fällt auf, dass Amazon sich sogar schon 1999 an Drugstore.com beteiligte und der Einstieg in den regulierten Medikamente-Markt spätestens seit 2014 intern massiv vorangetrieben wurde.
Getreu seiner “Working Backwards”-Methode veröffentlichte das für Amazon Pharmacy verantwortliche Team vor sechs Jahren eine interne, zukunftsgewandte Pressemitteilung, in der der Start fiktiv angekündigt wurde. Der vielsagende Titel damals: “A Pharmacy in Your Mailbox” (dt.: “Eine Apotheke in Ihrem Briefkasten”).
Vom Hustensaft zu rezeptpflichtigen Medikamenten
OTC-Produkte wie Kopfschmerztabletten oder Hustensaft konnten die Kunden des Versandhändlers in den USA bereits seit Mitte 2017 unter dem eigenen Label “Basic Care” in den häuslichen Briefkasten ordern. Mit Erfolg: Zum Beispiel fast 20,000 positive Bewertungen auf Amazon.com für die handelsübliche Packung Ibuprofen mit Amazon-Logo sprechen eine deutliche Sprache, vom Bestseller-Stempel ganz zu schweigen.
Die Neuerung von Mitte November dieses Jahres bedeutet jedoch noch einmal eine signifikante Weiterentwicklung für Amazon. Mit der Aufnahme von rezeptpflichtigen Medikamenten in das eigene Sortiment können Kunden nun auch pharmazeutische Produkte bestellen, die sonst nur bei großen Ketten wie Walgreens oder CVS nach Verschreibung eines Arztes erhältlich waren. Die Aktienkurse eben jener Konkurrenz fielen dementsprechend stark am Tag des offiziellen Launchs von Amazons eigener Versandapotheke vor zwei Wochen.
Im Heimatmarkt des Konzerns hat nicht nur Telemedizin durch die Corona-Pandemie Rückenwind bekommen, ebenso erledigen viele Menschen den Kauf ihrer Medizin mittlerweile lieber von zu Hause als im stationären Handel. Ärzte sollen die Rezepte für ihre Patienten zukünftig sogar direkt an Amazon schicken können, wodurch der Bestellvorgang ausgelöst wird.
All dies kombiniert mit Amazons üblichen Preisvorteilen wird es vor allem vielen Bestands- aber auch Neukunden leicht machen, die Amazon Pharmacy zu nutzen. Prime-Mitglieder profitieren dabei besonders, auch wenn sie (maximal) zwei Tage auf ihre Lieferung warten müssen. Doch auch US-Kunden, die kein Prime nutzen, können durch Amazons strategische Partnerschaften mit lokalen Krankenversicherungen durch Rabatte oder geringere Zuzahlungen kräftig sparen.
Deutschland wird mit hoher Wahrscheinlichkeit folgen
Auch wenn es teils erhebliche Unterschiede zwischen den Gesundheitssystemen in den USA und Deutschland gibt, ist es allenfalls eine Frage der Zeit, wann Amazon auch hierzulande seine Pharmacy angepasst an die entsprechenden Regularien ausrollen wird. Als größter Absatzmarkt für Amazon in Europa, dürfte die Bundesrepublik sicherlich weit oben auf der Prioritätenliste stehen.
Mit einem großen Kundenstamm und dementsprechend vorhandenen Customer Insights kann Amazon direkt auf seinem Erfolg mit anderen Produktkategorien aufbauen. Die Zunahme bei der Nutzung von digitalen Gesundheitsservices und beim Online-Shopping insgesamt sind dabei auch hierzulande erkennbar. Laut einer aktuellen Umfrage des mobilen Marktforschungsinstituts Appinio erfreuen sich in dieser Hinsicht insbesondere Online-Apotheken in Deutschland einer steigenden Beliebtheit.

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Mit Blick auf OTC-Produkte gaben 62% der Befragten an, dass sie Amazon für ihre Bestellung nutzen würden. Die geplante Einführung des e-Rezepts dürfte diese Entwicklung auch mit Blick auf rezeptpflichtige Medikamente in Zukunft weiter verstärken. 49% der Umfrageteilnehmer würden diese nämlich sogar bereits heute via Amazon ordern.

Hiesige Marktteilnehmer sollten bereit sein
Wie in den USA würde der Start von Amazon Pharmacy auch in Deutschland erheblichen Druck auf die bisherigen Marktführer ausüben. Amazons Stärke ist die konsequente Fokussierung auf die Zufriedenheit seiner Kunden (“customer obsession”). Es wird sich zeigen, ob die deutschen (Online-)Apotheken bei der Customer Experience mithalten und lokale Großhändler ihre Abläufe effizienter gestalten können, was Patienten und Käufern von OTC-Produkten letztendlich zugutekommen würde.
Marktteilnehmer mit direktem Kundenzugang dürften womöglich schneller auf die veränderten Anforderungen reagieren und ein besseres Kundenerlebnis ermöglichen können, Hersteller von Pharma-Produkten hingegen stehen vor der Herausforderung, ihre bisherige Value Chain komplett neu zu überdenken. Bei letzteren wäre es zum Beispiel denkbar, über Amazon einen vielversprechenden Direct-to-Consumer-Kanal ohne Zwischenhändler aufzubauen.
Eines ist auf jeden Fall klar: Besteht die Möglichkeit, den deutschen Markt für Online-Apotheken zu betreten, wird Amazon diesen Schritt ohne Zweifel vollziehen. Die bestehenden Teilnehmer im Markt vom Hersteller über den Zwischenhändler bis zur Online- und Offline-Apotheke sollten sich für dieses Szenario bereits jetzt vorbereiten.

Wie immer gibt es bei solch einer Weiterentwicklung eines Marktes nicht nur Risiken, sondern auch Chancen. Die Opportunität für Hersteller von OTC-Produkten und rezeptpflichtigen Medikamenten besteht im Fall von Amazon Pharmacy darin, die Stärke des E-Commerce-Riesen aus Seattle für den eigenen Vorteil auszunutzen und so einen weiteren effektiven Vertriebskanal zu erschließen.
Viele nicht verschreibungspflichtige Gesundheitsprodukte können schon heute problemlos auf Amazon angeboten werden, weshalb wir überzeugt sind, dass einige Hersteller diese Chance bereits jetzt nutzen könnten.
Wir verfolgen die Entwicklungen rund um Amazon Pharmacy für unsere Kunden auf jeden Fall mit Spannung.
Dieser Artikel erschien zuerst als Gastbeitrag bei W&V.
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