
Das Thrasio-Modell als neuester Trend im Amazon-Ökosystem

Der Trend zum FBA-Modell auf Amazon, in dem man selbst als Verkäufer auftritt, aber Amazon die Logistik überlässt, hält seit vielen Jahren an. Tausende Menschen wurden so bereits zu Unternehmer*innen und können beeindruckende Zahlen vorweisen: Inzwischen werden rund zwei Drittel aller Verkäufe auf Amazon von Marktplatzhändlern realisiert.
Mittlerweile sind es knapp 10 Gründungsteams (Razor, SellerX, Orange Brands, Zeelos, Brands United, Thirstii, Branded, … ), die sich in den letzten Monaten in Position gebracht haben, um den Thrasio-Erfolg hierzulande und europaweit nachzubauen. In Großbritannien ist z.B. ein deutsches Gründungsteam mit Heroes vor Kurzem an den Start gegangen. Angeschoben von teils sehr großen Venture-Capital-Finanzierungen (z.B. 100 Mio. Euro für SellerX) sollen nun innerhalb kürzester Zeit die digitalen “Light”-Varianten von Konzernen wie Procter & Gamble hochgezogen werden.
Als Amazon-Expert*innen haben wir das Phänomen von Thrasio und seinen “Klonen” bereits seit einer Weile mit Spannung verfolgt. In den letzten Wochen haben wir uns das dahinter liegende Geschäftsmodell genauer angeschaut und versucht, die Ambition der Startups mit der Realität des Alltagsgeschäfts auf Amazon in das richtige Verhältnis zu setzen.

Welche FBA-Businesses sollten gekauft werden?
Die Idee von Thrasio ist, FBA-Händlern, die normalerweise aufgrund ihrer Größe nicht für Akquisitionen infrage kommen, erstmalig eine Exit-Option zu bieten und durch den Zusammenschluss unter einem Dach deren Umsätze und Profitabilität zu steigern. Die Hypothese dahinter ist, dass entsprechende Händler mit ihren begrenzten Ressourcen (Zeit, Kapital, Mitarbeitende, …), das noch vorhandene Wachstumspotenzial ihrer Shops von alleine nicht erschließen können und somit an einem Punkt in ihrer Entwicklung angelangt sind, an dem sie ihren Erfolg häufig nur noch verwalten, aber nicht mehr ausbauen können. Die Zielgröße für Akquisitionen liegt in der Hinsicht bei etwa 1 Mio. Euro Jahresumsatz. Dieses Kriterium erfüllen etwa 3.300 FBA-Händler in Deutschland und ca. 4.200 in anderen europäischen Amazon Märkten. Die Thrasio-Klone haben es nach eigener Aussage zusätzlich primär auf “Category Leaders” abgesehen, die ein hohes Suchranking bei bestimmten Keywords vorweisen können.
Aus unserer Sicht gibt es in der Tat erfolgreiche Seller, denen Know-How, Zeit oder gar Motivation für eine Vergrößerung ihres Businesses fehlt – allerdings weisen diese potenziell oft weniger als 1 Mio. Euro Umsatz pro Jahr auf. Denn profitable FBA-Shops jenseits dieser Umsatzgröße bedürfen unserer Erfahrung nach bereits umfassenden Anstrengungen, da es absolut kein Selbstläufer ist, im “Haifischbecken” Amazon eine relevante Größe aufzubauen. Mit zunehmender Attraktivität des FBA-Modells nimmt der Bedarf an effizienten Strukturen, Expert*innenwissen und Ressourcen auf Händlerseite im wachsenden Wettbewerb mit Sellern aus aller Welt (insbesondere Asien) seit einigen Jahren stetig zu. Aus diesem Grund wäre unsere Empfehlung, eher auf kleinere FBA-Businesses zu schauen, die im Aufbau sind, noch keine Profitabilität vorweisen, aber vielversprechendes Wachstumspotenzial besitzen. Es erfordert jedoch ein tiefes Verständnis des Marktes (und ein wenig Glück), um diese Rohdiamanten zu entdecken.

Können Synergien geschaffen werden, um Skaleneffekte zu erzielen?
Die generelle Hypothese, Ressourcen für Einkauf, Logistik und Marketing innerhalb einer gebündelten Struktur effizienter einzusetzen, ergibt grundsätzlich Sinn. Wie bereits angedeutet, bewerten wir die Ausgangssituation in dieser Hinsicht allerdings so, dass die Mehrzahl der erfolgreichen FBA-Businesses diese Bereiche weitestgehend optimiert haben, wodurch ihr Erfolg überhaupt erst möglich wurde. Wenn wir von erfolgreichen FBA-Sellern angefragt werden, sehen wir oft, dass bereits die richtigen Keywords integriert, Produktvorteile auf Bildern gut dargestellt und CPCs der Kampagnen präzisiert sind. Das tiefgehende Produktverständnis der FBA-Verkäufer für nur einige wenige Produkte bzw. Produktkategorien bietet auf Amazon einen erheblichen Vorteil. Die Thrasio-Klone müssen deshalb Wege finden, dieses Wissen bei einer Vielzahl von Produkten zu adaptieren. Erste Tendenzen in diese Richtung sehen wir bereits: So will z.B. SellerX zwei bis 12 Monate nach Kauf eines Händlers noch weiter mit den Verkäufern zusammenarbeiten, sodass neben der Assets auch Wissen in gewissem Umfang transferiert werden kann.
Darüber hinaus hat der Amazon Marketplace zahlreiche Regeln und Mechanismen, die sich stetig verändern. Dies bedeutet, dass Thrasio-Klone zusätzlich vor der Herausforderung stehen, für alle ihre vielfältigen Produktgruppen immer auf dem neuesten Stand zu bleiben und entsprechend zu reagieren. Wir merken in unserem täglichen Geschäft, wie komplex das Amazon-Ökosystem geworden ist und dass spezielle Software und tiefgehendes Expert*innenwissen entscheidende Erfolgsfaktoren sind.
Wie könnte weiteres Wachstum der aufgekauften Businesses erzielt werden?
Trotz der genannten Herausforderungen gibt es nach wie vor Produkte, die ihren Zenit noch nicht erreicht haben und in ihren Umsätzen potenziell weiter wachsen werden. Allerdings sehen wir auch viele Produkte, bei denen die Konkurrenzsituation heute schon darauf hindeutet, dass es zukünftig immer schwieriger wird, auf eine relevante Umsatzgröße zu kommen. Eine der größten Gefahren für europäische FBA-Businesses sind in dieser Hinsicht asiatische Händler (vor allem aus China), die direkt auf den EU-Marktplätzen von Amazon verkaufen und ihre Produkte aufgrund verschiedener Wettbewerbsvorteile (selbst unlauterer wie dem Nicht-Abführen von Umsatzsteuer) meist deutlich günstiger anbieten können. Ebenso entdecken immer mehr große Markenhersteller Amazon als direkten Vertriebskanal für sich, was die Konkurrenzsituation in bestimmten Produktkategorien noch zusätzlich verschärft.
All dies gepaart mit einem Anstieg bei Advertising Spending, Frachtkosten und FBA-Gebühren macht es für profitable FBA-Händler – insbesondere bei Produkten ohne registrierte Marke in der Amazon Brand Registry oder USP – in Zukunft deutlich schwerer, die Margen auf dem bisherigen Niveau halten oder gar ausbauen zu können.

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Wachstumschancen sehen wir für FBA-Händler, die bisher nur auf einem Amazon-Marktplatz aktiv sind und noch zu internationalen Sellern ausgebaut werden könnten. Dabei ist die jeweils notwendige Anpassung an die nationalen Marktplätze jedoch nicht zu unterschätzen. Lokale Expertise, was Kaufgewohnheiten oder Suchverhalten von Online-Shopper*innen angeht, ist in dieser Hinsicht enorm wichtig. Als Beispiel: Um unseren Unternehmenskunden bei Remazing international optimale Beratung, Strategieplanung und operative Umsetzung bieten zu können, arbeiten in unserem um die 100-köpfigen Team Mitarbeitende aus mittlerweile 12 Nationen.
Letztlich könnten auch Optimierungen außerhalb von Amazon (Social-Media-Marketing, Branding, eigene Online-Shops, Verkauf auf anderen Marktplätzen, … ) bei einigen Händlern insgesamt noch zu Umsatzsteigerungen führen. Thrasio erhofft sich in dieser Hinsicht einen Hebel durch das Garantieren von Qualität in der Breite, was jedoch eine große Anzahl an akquirierten Händlern unter dem eigenen Dach voraussetzt – und somit den Wettbewerb um die besten FBA-Händler verschärft.
Wird sich der Markt konsolidieren?
Klare Antwort: Ja.
Es gibt aktuell in der Startup-Szene und E-Commerce-Branche bereits fast zwei Dutzend deutsche und europäische Thrasio-Nachahmer, die sich in den kommenden Monaten zunehmend um eine begrenzte Anzahl an FBA-Händlern streiten werden.
Wie bereits erwähnt, dürften es nur wenige der aktiven Amazon-Händler überhaupt auf einen Jahresumsatz von über 1 Mio. Euro bringen, wobei längst nicht alle starke Eigenmarken führen oder das geforderte Level an Profitabilität erreichen. Mancher FBA-Händler mag sein Business vielleicht trotz lukrativer Offerten auch gar nicht verkaufen.
Dieser Umstand in Kombination mit dem selbst auferlegten Erfolgsdruck durch große Venture-Capital-Finanzierungen wird die Preise für die in Frage kommenden FBA-Businesses in die Höhe treiben. Die aktuell im Markt vorherrschende Dynamik wird deshalb voraussichtlich auch zu einigen Fehlkäufen führen, bei denen sich mancher Thrasio-Klon im Rückblick gegebenenfalls wundern wird, gewisse Probleme in der operativen Umsetzung nicht schon vorher bemerkt zu haben.
Das Hype-Thema der letzten Wochen und Monate hat darüber hinaus durch den vor Kurzem angekündigten Einstieg von Thrasio in den deutschen Markt noch einmal ordentlich Rückenwind bekommen. Der Kauf des ersten deutschen Klons (Thirstii) dürfte in dieser Hinsicht als klassischer “Acqui-Hire” betrachtet werden, wodurch dem Original nun direkt ein motiviertes Team samt GmbH (in Gründung) in Deutschland zur Expansion vor Ort zur Verfügung steht. Die kolportierte Summe, die für das Geschäft auf dem deutschen Markt als Budget vorgesehen ist (225 Mio US-Dollar), übersteigt dabei selbst die Funding-Runde von SellerX deutlich. Thrasio hat auf seiner Website (nun auch auf deutsch online) massiv Stellen für den deutschen (und europäischen) Markt ausgeschrieben.
Es ist in dieser Hinsicht nur eine Frage der Zeit, bis entweder Thrasio weitere der sich im Aufbau befindlichen Startups aufkaufen wird oder sich einige der aktuellen Konkurrenten verbünden, um gegen das amerikanische Original und den Wettbewerb aus Fernost mittelfristig bestehen zu können.

Wer gewinnt das Spiel?
Man kann in Anbetracht der Gesamtsituation davon ausgehen, dass im margengetriebenen Verdrängungskampf nur die Unternehmen bestehen werden, die mit dem meisten Kapital ausgestattet sind und bei den Zukäufen die zukunftsfähigsten Produkte auswählen. Tiefes Amazon-Verständnis und eine etablierte eigene Infrastruktur sind bei der aktuellen Geschwindigkeit im Markt von Vorteil, weshalb Thrasio gute Karten besitzt, auch den europäischen Markt recht zügig dominieren zu können.
In dieser Hinsicht rechnen wir jedoch auch führenden deutschen Amazon-Sellern wie der Berlin Brands Group oder KW Commerce gute Chancen aus, ihre über Jahre aufgebaute Amazon-Expertise, vorhandene Finanzkraft und bestehende eigene Strukturen in Asien erfolgreich nutzen zu können und selbst strategische Zukäufe zu tätigen.
Die zahlreichen FBA-Händler, die nun das erste Mal eine echte Exit-Option besitzen, gehören definitiv zu den Gewinnern der aktuellen Entwicklung. Sie können sich nach Jahren schwerer Aufbauarbeit nun belohnen und zum Teil sogar “über Nacht” zu Millionären werden.
Aus diesem Grund können wir davon ausgehen, dass das FBA-Modell sich in Zukunft sogar noch größerer Beliebtheit erfreuen wird. Und wenn das Erfolgsversprechen der Thrasio-Klone eintritt und es durch große Investitionen gelingt, die Umsätze auf Amazon weiter zu steigern, steht der größte Gewinner am Ende des Tages ohnehin schon fest: Amazon selbst.
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