
„Die Schwelle ist sehr niedrig“ – Experten warnen vor Suchtgefahren bei Amazon

Der amerikanische Online-Gigant bietet maximale Bequemlichkeit und stimuliert geschickt das Belohnungszentrum im Gehirn. Doch das macht den Kanal für einige Menschen auch riskant.
Amazon hat viele Kunden, sehr viele sogar. Fast 450 Millionen Zugriffe gab es im März 2023 auf die Internetseite des Online-Versandhändlers – allein in Deutschland. In der Hochphase der Corona-Pandemie lag die Zahl der monatlichen Visits hierzulande zeitweise sogar bei mehr als 600 Millionen.
Der Großteil sind Stammkunden. Und diese lassen trotz aller Kritik an den Arbeitsbedingungen der bundesweit rund 36.000 Mitarbeiter oder an den Problemen mit Produktpiraterie auf der Plattform nichts auf den Online-Riesen kommen. Die Verbundenheit geht bei vielen sogar so weit, dass sie lieber ein Jahr lang auf Alkohol oder Süßigkeiten verzichten würden als auf Amazon und sein Portfolio mit Onlineshop, Hörbüchern oder Musik-, Film- und Serien-Streaming.
Das jedenfalls zeigt der aktuelle, unabhängig von dem Internetkonzern beauftragte Amazon Shopper Report von Remazing, einem Softwareanbieter, der Firmen hilft, ihre Produkte auf Online-Marktplätzen besser zu vermarkten. Selbst Social Media liegt bei der an 1000 Amazon-Shopper gestellten Frage „Worauf würdest Du am ehesten ein Jahr lang verzichten?“ praktisch gleichauf mit Amazon.

„Es geht hier um die Abfrage einer Intention, und Alkoholverzicht wird tendenziell als etwas Positives gesehen“, sagt dazu der Organisationspsychologe Sebastian Jakobi. Ob auf die Absicht auch der entsprechende Verzicht folge, sei offen, vergleichbar mit guten Vorsätzen an Silvester. Dennoch ist der Experte überzeugt: „Amazon kann Suchtpotenzial entwickeln.“
Der Konzern biete seinen Kunden maximale Bequemlichkeit und stimuliere mit seinen verschiedenen Angeboten schnell und einfach das Belohnungszentrum im Gehirn. „Die Schwelle, sich etwas zu gönnen und sich vom Alltag abzulenken, ist sehr niedrig“, sagt Jakobi im Hinblick auf Amazons Angebote wie schnelle Lieferung, kostenlosen Versand, persönliche Empfehlungen, Einkäufe per Sprachassistent oder Unterhaltung über das Abo-Programm Prime. „Das macht es riskant für manche Menschen.“

Anzeichen für eine Sucht sieht er beispielsweise gegeben, wenn ein Amazon-Kunde regelmäßig Impulskäufe tätigt, Einkäufe gegenüber seiner Umgebung verheimlicht und finanzielle Probleme auftauchen. „In solchen Fällen sollte man versuchen, über das Führen eines Haushaltsbuches wieder Kontrolle über seine Einkäufe zu erhalten, oder sich Hilfe von außen holen“, rät der Psychologe.
Auch die Politik scheint mittlerweile wachsam. „Wir sind an einem Punkt angekommen, wo die Macht der digitalen Unternehmen, insbesondere der größten Gatekeeper, unsere Freiheiten, unsere Chancen, sogar unsere Demokratie bedroht“, sagt zum Beispiel EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager.

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Hierzulande scheinen mahnende Worte noch am ehesten zu verfangen, auch das zeigt der Shopper Report. Jedenfalls sehen die Deutschen Amazon, verglichen mit Kunden aus anderen Ländern wie den USA, Spanien, Frankreich oder Großbritannien, deutlich kritischer – mit allerdings immer noch 90 Prozent positiver Bewertungen.
„Amazon ist ein Everything-Store. Man bekommt dort praktisch alles, was man kaufen möchte“, erklärt Remazing-Gründer Hannes Detjen die Dominanz der Plattform mit einem Umsatz von zuletzt 33,6 Milliarden Dollar in Deutschland und 514 Milliarden Dollar weltweit.

Längst sei Amazon eine eigene Suchmaschine für die Verbraucher, teilweise wichtiger als Google. Dazu komme das Entertainment-Angebot. „Da wurde eine Welt aufgebaut, die schwer zu übergehen ist, sowohl für Verbraucher als auch für Verkäufer“, sagt Detjen. Er sehe keine Konkurrenz mit ähnlichen Erfolgsaussichten, vor allem in der Preisklasse bis 100 Euro, aber auch zwischen 100 und 200 Euro.
„Bei Hochpreisprodukten sieht es dagegen oft anders aus“, meint er. „Bei hochwertigen Markenartikeln wie beispielsweise Parfüm oder Handtaschen fehlt den Kunden auf Amazon das Vertrauen.“

Deutsche Kunden kaufen bei Amazon vor allem Bücher und Spielzeug, Elektroartikel und Haushaltswaren, aber auch Mode und Schuhe oder Möbel und Kosmetik. Jeweils ein Drittel der Kunden aus Deutschland gibt pro Monat bis zu 50 Euro beziehungsweise zwischen 50 und 100 Euro auf der Plattform aus. Acht Prozent shoppen für mehr als 200 Euro im Monat.
Veröffentlicht auf welt.de, am 05.05.2023
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